Gastbeitrag von RAin Agnes Fischl-Obermayer – Steuerberaterin, Fachanwältin für Erbrecht
Die richtige Vorgehensweise bei der lebzeitigen Übergabe
Viele suchen den Steuerberater auf, um bei einer Vermögensübertragung auf die nächste Generation die künftige Erbschaftsteuerbelastung für die Kinder zu sparen oder zumindest zu minimieren. Wer mich kennt, weiß, dass dieser Grund nicht die Voraussetzung einer lebzeitigen Übergabe sein darf.
Dabei spielt die Frage der eigenen Versorgung eine wichtige, aber oftmals nicht realisierte Rolle: Wie lange leben die Eltern und welche finanziellen Bedürfnisse gibt es auf diesem Weg noch? Ich sage hier immer: Man kann sein Leben mit Luxus ausgestalten – oder auch mit Zurückhaltung –, diese Entscheidung trifft jeder für sich selbst. Die Entscheidung über die Art und Weise der eigenen Pflege kann im Zweifel jedoch nicht eigenständig beeinflusst werden. Die Pflegekosten werden in Zukunft nicht weniger und niemand weiß, wie lang und teuer dieser Weg für einen selbst noch sein wird.
Ich bin mir bewusst, dass diese Beratung vor allem im Beisein der Kinder nicht immer als „nett“ empfunden wird, klare und offene Worte sind mir hier jedoch wichtig.
Nießbrauch ist nicht immer die Lösung
Sobald ich in diesem Zusammenhang auf die Versorgung im Alter hinweise, wird immer mit dem Nießbrauch argumentiert. Der Nießbrauch ist in der Regel aber nur die halbe Wahrheit: Er führt zwar dazu, dass man weiterhin die Mieteinnahmen erhält, andererseits aber auch weiter alle Kosten für die Immobilie zu tragen hat.
Gerade das Gebäudeenergiegesetz wird in Zukunft auch für alte Bestandsgebäude dazu führen, dass enorm kostenintensive Maßnahmen getroffen werden müssen. Dazu reichen die Mieteinnahmen, die man sich ja für die Altersvorsorge zurückbehalten wollte, in der Regel nicht.
In solchen Fällen sollte man von einer Schenkung Abstand nehmen. Und: „Was geschenkt ist, ist geschenkt und damit nicht mehr verfügbar.“ In diesen Fällen dann auf die Beschenkten zugehen zu müssen, um von ihnen eine finanzielle Unterstützung für die eigene Pflege zu erhalten, ist oftmals nicht gewünscht oder führt zu problematischen Situationen.
Ich rate daher, einen Finanzplan zu erstellen und einen möglichen Pflegeaufwand mit 5.000 €/Monat bis zum 100. Geburtstag zu berechnen. Soweit der Kassensturz dazu führt, dass die finanzielle Versorgung ausreichend ist, kann man über eine lebzeitige Übergabe nachdenken.
Schenkung zu Lebzeiten genau überdenken
Eine lebzeitige Übergabe muss wohlüberlegt sein. Selbstverständlich muss sich der Übergeber ausreichend gegen Eingriffe der Erwerber schützen. Das geschieht durch die Vereinbarung von Rücktrittsrechten, die dann ausgelöst werden können, wenn seitens der Erwerber Tätigkeiten oder Entscheidungen getroffen werden, die nicht mit dem Übergeber abgestimmt worden sind.
Ein weiterer Punkt für die lebzeitige Überlassung ist auch die Frage der Gerechtigkeit und der familiären Auseinandersetzung. Ein Streit und die damit verbundenen moralischen Konsequenzen können selbstverständlich niemals verhindert werden. Viele meiner Mandanten sind jedoch der Meinung, einen Streit für die Zukunft, also nach dem Tod der Eltern, zu vermeiden, wenn sie zu Lebzeiten keine Überlassung vornehmen. Aber auch das ist nicht richtig.
Probleme in der Familie frühzeitig erkennen
Gerade wenn man schon innerhalb der Familie die Probleme erkennt, ist es umso wichtiger, auf die Erwerber zuzugehen, um einen gemeinsamen Weg zur Lösung dieser Probleme zu finden. Denn über eines sollte man sich im Klaren sein: Die nach dem Tod der Eltern geführten Erbstreitigkeiten sind selten wahre Streitigkeiten der Geschwister untereinander. Sie sind die Streitigkeiten, die die Eltern nicht gelöst haben.
Ich bezeichnete diese Erbstreitigkeiten auch als „Schaukelpferdsyndrom“. Ungerechtigkeiten, die die Eltern während der Kindheit der Erwerber nicht gelöst haben, können nach dem Tod und bei der Verteilung des Nachlasses plötzlich zu Problemen werden.
Solange die Eltern noch leben, haben können sie aber als Protagonisten am Tisch der Geschwisterauseinandersetzung sitzen und Dinge klarstellen. Diese Gespräche sind sicherlich nicht einfach. Sie werden es aber auch nicht, wenn die Eltern verstorben sind.
Nie ohne die Kinder entscheiden
Oft kommen Eltern zu mir, weil sie nicht wissen, wie sie im Wert unterschiedliches Immobilienvermögen am besten auf die Kinder verteilen sollen. Nicht selten entscheiden dann die Eltern. Die Gerechtigkeit ist aber in jedem Fall aus der Sichtweise der Erwerber zu sehen, nicht aus der Sichtweise der Eltern.
Wenn der Sohn in München lebt und hier bleiben möchte, so bekommt er das Einfamilienhaus. Die Tochter, die in der Welt umherreist, soll die wertmäßig weitaus günstigeren Eigentumswohnungen bekommen. Eventuell handelt es sich bei dem Einfamilienhaus aber um ein Anwesen, das sich schon lange im Familienbesitz befindet. Trotz der weiten Reisen hätte die Tochter mehr Interesse am Erhalt des Hauses und könnte sich auch vorstellen, ihren Bruder auszuzahlen.
Ein weiteres Problem: Kinder setzen sich oft bei den Entscheidungen der Eltern nicht durch, da sie Sorge haben, die Eltern könnten glauben, man wolle sie nun sterben lassen. Aus dem gleichen Grund suchen Kinder auch nicht das Gespräch mit ihren Geschwistern, da das einen schlechten Ruf nach sich ziehen könnte: „Du bist derjenige, der über die Verteilung des Nachlasses zu reden begonnen hat, willst du denn unsere Eltern schon sterben lassen?“
Problem: Immobilienvermögen gerecht zu verteilen
Das große Problem ist, dass der Nachlass, und vor allem Immobilienvermögen, niemals gerecht aufgeteilt werden kann. Selbst die Wohnung im dunklen Erdgeschoss und die gleich große Wohnung im sonnigen fünften Obergeschoss können schon völlig unterschiedliche Werte haben.
Ich rate daher immer, die zu verteilenden Immobilien auf eine Liste zu schreiben, diese Liste an die Kinder zu übergeben und sie aufzufordern, untereinander die Verteilung zu regeln. Das mag eigenartig klingen, aber am Ende sind es doch die Eltern, die die Verteilung bestimmen.
Meine über drei Jahrzehnte lange Erfahrung im Bereich der lebzeitigen Immobilienübergabe sowie die zahlreichen Erbschaftstreitigkeiten, die ich begleitet habe, haben gezeigt, dass dies der einzige Weg ist, um künftige Streitigkeiten einigermaßen zu vermeiden.
Die Kinder müssen sich selbstständig auseinandersetzen und über Gerechtigkeit diskutieren. Wie schon beschrieben können die Eltern selbstverständlich am Tisch dieser Gespräche sitzen.
All dies zeigt, wie wichtig es ist, das Gespräch vor den Überlassungen zu führen. Wenn dann deutlich wird, dass die Kinder immer streiten werden, dann kann man auch entscheiden, nichts zu tun.
Fazit: Die lebzeitige Überlassung, die gerechte Verteilung und das Sparen einer Steuerbelastung sind nicht immer kompatibel. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig anzufangen, darüber nachzudenken, denn „wer nicht anfängt, hört nicht auf“.
Unser Kooperationspartner:
RAin Agnes Fischl-Obermayer
Steuerberaterin, Fachanwältin für Erbrecht
Geschäftsführerin bei ACCONSIS GmbH
Steuerberatungsgesellschaft und ACCONSIS GmbH
Rechtsanwaltsgesellschaft sowie beratend tätig für den
Haus- und Grundbesitzerverein München Umgebung e.V.
FORUM am Hirschgarten
Schloßschmidstraße 5
80639 München